Abschied.

Novellette von Paul Bliß
in: „Häuslicher Rathgeber” Nov.1900, Nr. 48,
in: „Slavonische Presse (Esseg)” vom 25.08.1901


Nur wenige Freunde gaben ihm das Geleite, als er zur Bahn ging. man sprach gleichgiltige Worte, um das Weh der Trennung zu erleichtern, und als endlich der Zug kam und Carl eingestiegen war, da athmeten Alle wie befreit auf.

Jetzt noch ein paar liebe herzliche Worte, Händedrücke, sprechende Blicke und dann das letzte Lebewohl.

Der Zug fuhr davon.

Und Carl lehnte sich zurück in die Ecke und schloß für ein paar Minuten die Augen. — Er siedelte nach der Hauptstadt über und sollte sich dort eine neue Heimat gründen. Erinnerungen aus der Vergangenheit. — Alles, was längst vergessen, wird wieder lebendig vor seinen Augen, und so durchlebt er im Geiste Alles noch einmal.

Vierzig Jahre ist er jetzt alt. Und diese vierzig Jahre hat er mit geringen Unterbrechungen in dem kleinen Städtchen verlebt, das seine Heimat war. Früh verlor er den Vater, und da kein Vermögen da war, mußte er als Aeltester für die Mutter und für die kleinen Geschwister arbeiten.. Das war seine Pflicht, das fühlte er. und so hat er es denn auch immer bitter ernst genommen. Er hat keine Jugend genossen, er hat keine Freude gekostet, er hat nur immer gearbeitet; verdient! geschaffen! Das nur hat ihn vorwärts getrieben. Für Alles, was um ihn herum geschah und was nicht mit seinen Interessen zusammenhing, für Alles das hat er nie Zeit und Verständnis gehabt. Später dann, als die Mutter gestorben und die Geschwister groß und nicht mehr auf ihn angewiesen waren, da ist ihm wohl manchmal der Gedanke gekommen, auf und davon zu gehen, weit fort, in die Welt hinein, aber nie hat er den Gedanken zur Ausführung gebracht. Die Gewohnheit war stärker gewesen,und dann wieder war es die Angst vor dem Neuen, dem er sich nicht gewachsen glaubte. So ist er denn daheim geblieben bis jetzt. Und nun mit einemmal, urplötzlich geschah der Wechsel.

Ein kinderloser Verwandter war gestorben, der ihn zum Erben eingesetzt hatte. Das Geschäft dieses Verwandten aber war in der Hauptstadt, und da Carl jetzt der Chef dieses Hauses geworden war, mußte er den Wohnsitz wechseln.

*           *           *

Vier Wochen später.

Er hatte sich bereits eingelebt in die neuen Gewohnheiten. Mit eiserner Energie hatte er sich Alles Wissenswerthe im Geschäft angeeignet. Aber eine neue Heimat war es ihm noch nicht geworden.

Jahrelang ein armer Schlucker und nun plötzlich ein reicher Mann, der Wechsel kam zu schnell.

Er wußte noch nicht, welche Macht das Geld ist, er war zu zaghaft, zu schüchtern und verstand es nicht, das geld bornehm zu verausgaben. Seine Umgebung merkte das gar bald. Seine Angestellten bemitleideten ihn, seine Bekannten machten sich heimlich über ihn lustig, und die Dienerschaft erlaubte sich manche Dreistigkeit.

Natürlich fand er auch bald gute Freunde, die ihn auf seine Schwächen aufmerksam machten, und ihn i8n Erziehung nehmen wollten, womit er lächelnd einverstanden war.

Und so begann denn das neue Leben.

Seine Freunde führten ihn durch die Lustbarkeiten der Residenz. Willig folgte er ihnen, eifrig bestrebt, auch hier noch lernen zu wollen.

Sie eilten von Fest zu Fest, von einem Genuß zum andern, was nur zu erreichen war, wurde gethan, — er aber sah lächelnd dem treiben seiner Freunde zu: er fand weder Vergnügen noch Anregung daran, er verstand es nicht.

Da machten sich auch seine Freunde über ihn lustig, nannten ihn eine Schlafmütze und einen Philister, an dem Alles verloren sei.

Er lachte dazu, innerlich aber ärgerte er sich dich darüber. Und nun nahm er sich ernsthaft vor, sein Leben mit Gewalt zu ändern.

So begann er zu trinken, um sich an seinen tollen Phantasien zu erregen. Es geschah. Er trank sich Muth. Er versuchte sich in den Strudel zu stürzen, doch er fand kein Vergnügen daran und blieb der Alte.

Oft hatte er regelrecht Heimweh nach seinem kleinen Städtchen, nach all den traulichen Stnden von damals. Aber auch das hielt nicht an, denn im Rausch des Großstadtlebens verschwanden die Träumereien oder wurden verdrängt durch neue Eindrücke und Erlebnisse.

So, unter heimlichen Qualen, verging ihm das erste Jahr.

Von Neuem kam der Herbst ins Land.

Da lernte er ein junges Mädchen kennen, das sein ganzes Interesse erregte. Marie hieß die Kleine, war die jüngste Tochter eines braven, aber armen Beamten, ein lustiges, jugendfrisches Mädel mit schelmischen braunen Augen und einem offenen ehrlichen Gesicht, sie hatte tausend tolle Streiche im Kopf und machte mit den Männern, was sie mit ihnen machen wollte.

Carl sah sie lange und prüfend an, und als er sie verließ, da wußte er, daß sie es ihm angethan hatte, — er liebte sie! Zum erstenmale in seinem Leben war eine tiefe Zuneigung in sein Herz eingezogen..

Und so warb er denn um die Gunst des schönen Mädchens, ganz ernsthaft natürlich, denn er wollte sie zur Frau haben.

Marie's Eltern waren überglücklich, sie erkannten das große Glück ihrer Tochter, wenn sie an dem reichen Manne vernmählt würde, und so redeten sie ganz energisch auf die Tochter ein.

Die Tochter aber verhielt sich noch sehr reserviert, sie sagte nicht ja und auch nicht nein, sie scherzte und lachte wie immer, und ließ sich den Hof machen von allen jungen Leuten, die ihr gefielen; der am meisten bevorzugte aber war nicht Carl, sondern ein flotter junger Jurist, der in dem Rufe stand, ein toller lebemann zu sein.

Carl merkte dies sehr bald und wurde eifersüchtig auf den Glückspilz. Aber er beherrschte sich, um nicht lächerlich zu erscheinen, und sann ernsthaft nach, wie er den Nebenbuhler verdrängen könne. Er sah, wie Marie all' die Tollheiten des jungen Mannes bewunderte. Das also fesselte sie. Nun gut, so wollte auch er zeigen, daß er, wenn schon kein Jüngling mehr, ganz gewiß kein Stubenhocker war.

Und nun suchte er das Leben der Jugend auf. Was er vordem mit Gleichgiltigkeit, oft mit Ekel, vermieden, nun machte er es mit. Er suchte nach Abenteuern, und er fand sie. Er begann ein Leben voll Genußlust und Ausschweifungen. Er trieb es toller, wie mancher Jüngling, und warf das Geld mit vollen Händen fort. Und oft, wenn er sah, wie die leichtsinnige flotte Jugend spielend Sieg auf Sieg errang, dann erwachte der Neid in ihm, dann beneidete er die Jungen um ihre Jugend, um ihren leichten Sinn, der über alles spielend hinweg ging, und dann begann er nur um so toller zu leben, damit sein Rausch nicht entschwand und er nicht in die kahle Wirklichkeit zurückversetzt wurde, denn das hatte er längst gemerkt: Jugend! Jugend! Das war der Schatz, das war es, was er nicht mehr hatte.

Eines Tages mochte er nicht mehr. Er hatte genug von den Tollheiten. Es machte ihn nur noch unbefriedigter. Jetzt gab es nur eins noch, — Marie mußte seine Frau werden.

Er hielt um sie an, die Eltern sagten sofort ja und auch Marie war einverstanden.

Glückselig schloß er die Braut in seine Arme, drückte sie fest an sich und gab ihr den ersten Kuß. Aber mitten in seinem Glückstaumel fühlte er, wie sie erzitterte, und als er sie stumm fragend anblickte, sah er die Thränen in ihren Augen. Da kam ihm ein schmerzlicher Gedanke. Und er fragte mit bebender Stimme: „Marie, sag mir die reine Wahrheit, — hast Du mich lieb? Wirst Du gern und freiwillig mein Weib?”

Und sie antwortete mit thränendurchzitterter Stimme. „Nein, ich folge dem Rath und Wunsche meiner Eltern, — ich liebe einen anderen, einen jüngeren Mann.”

Das ging ihm wie ein Stich durchs Herz. Auch hier war er zu alt, auch hier siegte die Jugend. Aber er preßte die Lippen zusammen und machte sich stark. Dann gab er Marie frei — sie solle ihren Liebsten haben, er selbst wolle sie ihm zuführen, und wenn der zu arm sei, so wolle er die Mitgift hergeben.

Dann eilte er nach Hause, schloß sich in sein Zimmer und warf sich auf das Sopha. Und nun kam das ganze Leid über ihn, und er schluchzte laut auf, . . . also nun war Alles aus, nun sollte er Abschied nehmen von der Jugend, die er nie besessen, die er nie erlebt, nie gekostet hatte, — Haß und Bitterkeit quollen auf in ihm, und eine Wuth erfaßte ihn, daß er so ohnmächtig war gegen sein Geschick, . . . lange sinnend sah er hinaus in die helle, klare Herbstluft; zwar färbte sich das Laub schon an Baum und Strauch, aber es blühten auch noch Blumen, und die Sonne schien noch hell und warm, und an den Bäumen hingen die reifen Früchte, . . . o, auch der Herbst war noch schön!

So wurde er nach und nach ruhiger, und fand sich zurück in das Leben, und suchte Trost und Vergessen in der Arbeit, die allein ihm den Frieden gab.

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